Ein umfassender Ansatz für persönliche und organisatorische Entwicklung

Prozess-Orientiertes Coaching ist ein-systemisches und multimodales Coaching-Modell. Es stellt eine Anwendung der von Arnold Mindell entwickelten Prozessorientierten Psychologie dar.
Prozess-Orientiertes Coaching kombiniert Ansätze aus Psychologie, Physik, System- und Kommunikationstheorie und philosophischen Traditionen wie dem Taoismus, um tiefere Einsichten in die bewussten und unbewussten Veränderungsprozesse von Individuen, Teams und Organisationen zu gewinnen.

Ursprung und Entwicklung

Arnold Mindell, ursprünglich Physiker, später dann auch Jungscher Analytiker, erweiterte die Tiefenpsychologie C. G. Jungs um das Konzept des „Dreambody“, wofür er 2012 den USABP Award (USA Body Psychotherapy) erhielt. Darin beschreibt er die Verbindung von Körperprozessen mit Nachtträumen und anderen Bewusstseinsprozessen. In diesem Sinne werden Körpersymptome nicht nur als rein pathologische Körperprozesse, sondern auch als ein möglicher Ausdruck von ins Bewusstsein drängenden Entwicklungsprozessen gesehen.
Vor diesem Hintergrund erfahren auch non- und paraverbale Kommunikationssignale, als ein Ausdruck von ins Bewusstseins strebenden Prozessen, an Bedeutung in der sonst überwiegend verbalen Kommunikation.
Im systemischen Verständnis der Prozessorientiere Psychologie, auch als „Prozessarbeit“ bekannt, werden sowohl beziehungs-, familiäre oder Team-Dynamiken als auch gesellschaftliche und politische Dimensionen und deren Wechselwirkungen mit dem Individuum einbezogen. Mit dieser erweiterten systemischen Perspektive entwickelte Prozess-orientierte Psychologie auch ein Gruppen- und Großgruppen-Facilitation-Modell, das unter dem Namen „Worldwork“ bekannt ist. Diese interdisziplinäre Basis ermöglichte die Entwicklung eines dynamischen Coaching-Ansatzes, der in Bereichen wie Organisationsentwicklung, Diversitätsmanagement und Führungstraining Anwendung findet und nachhaltige Entwicklungen unterstützt..

Prinzipien des Prozess-Orientierten Coachings

1. Prozess-Orientierung

Im Zentrum des Prozess-Orientierten Coaching steht die Annahme, dass alle Systeme und Individuen einem ständigen Wandel unterworfen sind. Prozess-orientierte Coaches folgen dem natürlichen Fluss („Was versucht zu geschehen?“), statt vorgefertigte Lösungen aufzudrängen. Ziel ist es, „stuckness“ oder Blockaden in Fluss und Entwicklung zu verwandeln, um nachhaltige Veränderung zu ermöglichen.
Der nächste Schritt erfolgt aus der Wahrnehmung und dem Erforschen der Gesamtsituation: Coaches nehmen wahr, wie eine Person sich selbst sieht oder was sie intendiert, und erforschen zu gleich, was Klient:innen herausfordert und stört. Sowohl die „positiven“ oder erwünschten, also auch die möglicherweise als „Störung“ wahrgenommenen Prozesse werden als Teil des Lebensprozesse verstanden und mit Neugier erforscht, um ggf. deren Potenzial oder Komplementarität zutage zu fördern.. 

2. Phänomenologischer Ansatz und Mindfulness

Prozess-orientierte Coaches sind achtsam in der sinnesbasierten Wahrnehmung von Signalen und Prozessen. Sie studieren den Prozess in den allen Wahrnehmungskanälen (auditiv, visuell, propriozeptiv – die Körperwahrnehmung betreffend – oder kinästhetisch – die Bewegung betreffend), interessieren sich für Prozessstrukturen im sprachlichen Ausdruck und verfolgen achtsam Beziehungs-, Gruppen- und Felddynamiken. Durch bewusstes Wahrnehmen werden Potenziale und Entwicklungstendenzen deutlich und in ihrer Entwicklung gefördert. Hierbei wird zwischen bewussten und unbewussten oder bewusstseinsfernen Prozessen unterschieden. Zumal gerade letzte ungenutzte Potenziale und neue Entwicklungen in sich tragen.

3. Systemischer Ansatz: Von Body-Mind zu Worldwork

Aus der Verbindung mit dem „Dreambody”-Konzept, dem Verständnis von der Wechselwirkung zwischen individuellen und kollektiven Prozessen und der Offenheit für verschiedene Realitätsebenen entsteht ein systemischer Coaching-Ansatz, der jegliche Wahrnehmung einbezieht. Aus einer solchen erweiterten Wahrnehmung können neue Entwicklungen erkannt und Antworten auf Herausforderungen gefunden werden.

4. Die Ebenen von Wirklichkeit

Prozess-orientierte Coaches beziehen ein breites Spektrum von Wahrnehmungen und Erfahrungen in ihrer Arbeit mit ein. Dies reicht von den harten Fakten, messbaren Strukturen und Prozessen bis hin zu subjektiven Wahrnehmungen von Gefühlen, Atmosphären oder Wahrnehmungen innerhalb von Gruppen oder Feldern, die mitunter kaum noch in Worte zu fassen sind. Sie werden gleichermaßen respektiert und als Zugang zu einem neuen Bewusstsein verstanden.

5. Awarenss und die Arbeit mit Bewusstseinsgrenzen

Im bewusstseinsorientierten Coaching-Ansatz des Prozess-orientierten Coachings kommt dem Konzept der „Grenze“, der „Demarkationsline“ zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich, dem Wir und den „Anderen“, sprich mit dem, womit wir uns identifizieren oder uns von abgrenzen, eine besondere Rolle zu. Die Grenze hat eine janusköpfige Natur. Sie bildet und schützt Identität und zugleich stoppt oder hemmt sie mit all den mit ihr verbundenen Glaubenssystemen neue Bewusstseinsentwicklungen und Handlungsoptionen. Prozess-orientierte Coaches helfen nicht einfach Lösungen zu finden, sondern bringen Licht in einseitige und begrenzende Identifikationen, helfen Wahrnehmungsblockaden zu identifizieren, um bewusstseinserweiternde Perspektiven zu entwickeln und so neue Entwicklungen und mehr Wahlmöglichkeiten zu unterstützen.

6. Deep Democracy

Prozess-orientiertes Coaching gründet in der Haltung der „Deep Democracy“ (deutsch: Tiefe Demokratie) einem Diversitätskonzept, das über das übliche Verständnis von Allparteilichkeit. Es geht weniger darum neutral zu sein, als dass alle Stimmen, Positionen, Bewusstseinszustände und Realitätsrahmen in einem jeweiligen System, sei es innerhalb eines Individuums, in einem Team oder einer Organisation, bedeutsam sind, in Beziehung miteinander stehen und einbezogen werden wollen.. Dieses Prinzip hebt hervor, dass jede Stimme oder Position, die dominante wie auch eine momentan noch marginalisierte, wichtig sind.

Methoden und Techniken

Prozess-Orientiertes Coaching umfasst eine Vielzahl von Techniken, die auf bewusste und unbewusste oder bewusstseinsferne Prozesse abzielen:

  1. Signal Tracking
    Coaches beobachten subtile Signale wie Tonfall, Körpersprache oder Energieverschiebungen, um bewusstseinsferne Themen zu identifizieren und deren Potenziale einzubeziehen.
  2. Feedback-Schleifen
    Neben dem gesprochenen Wort beachten prozess-orientierte Coaches präzise non- und paraverbale Signale, um kongruente oder inkongruente Rückmeldungen zu identifizieren und um positive oder negative Rückmeldungen über den Verlauf des Prozesses einzuschätzen.
  3. Feldbewusstsein
    Die Wahrnehmung von „Feld-Dynamiken“ – wie Machtverhältnisse, soziale Trends oder kulturelle Spannungen – wird genutzt, um eine tiefere Verbindung zum System und seiner Entwicklungsrichtung herzustellen..

Anwendungsbereiche im Business Coaching

Prozess-Orientiertes Coaching hat sich als besonders wirksam in der Arbeit mit Führungskräften und Teams erwiesen:

1. Konflikttransformation

Anstatt Konflikte direkt zu lösen, untersucht Prozess-Orientiertes Coaching die zugrunde liegenden Dynamiken. Dies könnte beispielsweise bedeuten, unausgesprochene Bedürfnisse, Ängste oder Diversitätsaspekte innerhalb eines Teams zu identifizieren und zu adressieren. Es wird darauf vertraut, dass Konflikte Vorboten einer neuen Entwicklung darstellen und bisher nicht genutzte Perspektiven und Potenziale in sich tragen.

2. Leadership Development

Leadership Development ist der systematische Prozess der Entwicklung von Kompetenzen zur effektiven und verantwortungsvollen Nutzung von Macht. Es schließt die Stärkung des Selbstbewusstseins, die Förderung persönlicher Macht (wie Resilienz, Reflexion und Selbstwirksamkeit) und das Verständnis der dynamischen Natur von Macht ein. Ziel ist es, Führungskräfte zu befähigen, ihre Macht verantwortungsvoll, kontextbewusst und im Einklang mit den Zielen der Organisation einzusetzen, um Engagement, Fairness und nachhaltigen Erfolg zu fördern.

3. Diversitätsmanagement

Repräsentierte Vielfalt allein reicht nicht aus. Es braucht Diversitätsbewusstsein oder wie neuere Studien über positive Effekte von Diversität zeigen, dass Diversität gemanagt werden muss. Es braucht Bewusstsein auf Seiten der Mehrheitsposition und ihrer unbewussten Privilegien sowie Bewusstsein innerhalb und für die marginalisierte Position. Vielfalt, die in einer Gesellschaft und ihrem Wertesystem schnell zu Konflikten und Ausgrenzung führen kann, kann mit wachsendem Diversitätsbewusstsein die Potenziale und damit auch Inklusion fördern.

4. Macht- und Rangbewusstsein

Macht- und Rangbewusstsein ist im Führungskräfte-Coaching von zentraler Bedeutung, da es die Dynamiken zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:innen sowie innerhalb des gesamten Systems als auch im Moment des Coachings sichtbar macht. Ein Bewusstsein für formelle (z.B. Position) und informelle (z.B. Persönlichkeit, Wissen) Machtquellen ermöglicht es dem Coach, Machtungleichgewichte zu erkennen und aufzulösen, um einen sicheren und inklusiven Raum zu schaffen. Durch das Verstehen, wie Rang und Kontext das Verhalten beeinflussen, kann der Coach Klienten dabei unterstützen, ihre persönliche Macht zu stärken und ihre Rollen verantwortungsvoll zu gestalten. Dies fördert eine authentische Entwicklung und nachhaltige Veränderung im beruflichen und persönlichen Umfeld.

5. Organisationsentwicklung

In Zeiten von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUCA) unterstützt POC Organisationen dabei, Disruptionen zu nutzen, um innovative Lösungen zu finden.

Fazit

Prozess-Orientiertes Coaching ist mehr als eine Methode – es ist eine Haltung, die Veränderung auf einer tiefen, nachhaltigen Ebene ermöglicht. Es verbindet bewusste und unbewusste Prozesse, um Einzelpersonen und Organisationen zu helfen, in komplexen und dynamischen Umfeldern zu wachsen. Für Coaches und Führungskräfte bietet es ein einzigartiges Werkzeug, um tiefere Einsichten und transformative Ergebnisse zu erzielen.

Entdecken Sie das Potenzial von Prozess-Orientiertem Coaching – ein Weg, der bewusste und unbewusste Welten integriert, um neue Möglichkeiten zu eröffnen.