Wie können wir non- und paraverbale Signale im Coaching erforschen?
Obwohl der größte Teil unserer Kommunikation non- und paraverbal erfolgt, erfahren diese Kommunikationssignale in Reflexions- und Bewusstwerdungsprozessen – auch im Coaching – oft zu wenig Aufmerksamkeit. Dabei kann das bewusste Wahrnehmen und Spiegeln sinnesbasierter Signale – etwa leicht feuchter Augen oder einer geballten Faust bei einem Gefühl von Ohnmacht – das emotionale Erleben vertiefen oder einen Zugang zur eigenen Kraft eröffnen.
Wenn wir davon ausgehen, dass unbewusst gesendete, insbesondere inkongruente Kommunikationssignale Vorboten eines neuen Bewusstseins oder ungenutzter Potenziale sein können, lohnt es sich, diese gezielt in den Coaching-Prozess einzubeziehen. Statt jedoch rasch zu interpretieren, was das Signal „bedeuten“ könnte, empfiehlt sich eine offenere und neugierigere Herangehensweise.
Amplifikation nach C. G. Jung und Arnold Mindell
Eine solche Alternative bietet die von C. G. Jung entwickelte Technik der Amplifikation. Ursprünglich nutzte Jung diesen Ansatz, um Trauminhalte durch den Vergleich mit symbolischen Bildern aus Mythologie, Religion und anderen kulturellen Kontexten zu erweitern. Arnold Mindell, der Begründer der prozessorientierten Psychologie, übertrug diesen Gedanken auf non- und paraverbale Signale. Er betrachtete sie als Wegweiser im kreativen Prozess unseres nach Ganzwerdung strebenden Bewusstseins (C. G. Jung: Individuation).
Offene Haltung und sinnesbasierte Wahrnehmung
Für die Amplifikation von Signalen im prozessorientierten Coaching sind eine offene, neugierige Haltung und die Bereitschaft zum nicht-wertenden Erkunden zentral. Coachende orientieren sich an direktem sowie indirektem Feedback der Klient:innen und nutzen dabei eine bewusst sinnesbasierte Wahrnehmung. Signale werden verstärkt (amplifiziert), indem sie präzise gespiegelt und sprachlich benannt werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen:
- auditiv (Hören)
- visuell (Sehen)
- kinästhetisch (die Bewegung betreffend)
- propriozeptiv (die Körperwahrnehmung und Gefühle betreffend)
Beispiel für Amplifikation im Coaching
Richtet sich der Rücken einer Klient:in plötzlich leicht auf, während sie von einer Herausforderung spricht, die sie möglicherweise nicht bewältigen kann, könnte die coachende Person beispielsweise sagen:
„Ich höre deine Bedenken … (bewusster Anteil). Gleichzeitig sehe ich, dass dein Rücken sich etwas aufrichtet und streckt. Magst du dieser Bewegung einmal nachspüren?“
Diese Intervention lenkt den Fokus auf das in diesem Moment noch unbewusstere Signal – möglicherweise ein Ausdruck von Stärke oder Zuversicht, das sich erst allmählich ins Bewusstsein schiebt. Durch die unterstützte Selbstwahrnehmung gewinnt die Klient:in eine persönliche Erkenntnis darüber, was sich gerade neu in ihrem Bewusstsein entfalten möchte. Hier zeigen sich deutliche Parallelen zu Eugene Gendlins Konzept des Felt Sense, das den Körper als Schlüssel für implizites Wissen und innere Prozesse betrachtet.
Signale und ihre Wirkebenen
Signale können in verschiedenen Wahrnehmungskanälen auftreten. Manche sind der Person bewusst, etwa wenn sie demonstrativ auf etwas zeigt. Andere wiederum unterstreichen non- und paraverbal eine Aussage, ohne dass die Betreffende dies selbst bemerkt. Daneben gibt es Signale, die nicht mit dem bewusst Gesagten übereinstimmen. Diese inkongruenten Signale können unbewusste oder verdrängte Aspekte ausdrücken und zu zwischenmenschlichen Konflikten führen. Gleichzeitig können sie jedoch auch Vorboten eines neuen Bewusstseins und ungenutzter Potenziale sein, sofern der innere Konflikt und hinderliche Überzeugungen konstruktiv bearbeitet werden.
Eine weitere Kategorie bilden sogenannte Grenzsignale oder Grenzphänomene wie Aufstöhnen, Gähnen oder Kichern. Sie treten oft dann auf, wenn wir an die Grenzen unserer bisherigen Identität stoßen.
Feedback als Kompass
Der wichtigste Kompass für prozessorientiert Coachende auf dem Weg in das noch unbekannte Land eines neuen Bewusstseins – mit all seinen unentdeckten Potenzialen – ist die kontinuierliche, aufmerksame Wahrnehmung von Feedback in jedem Moment.
Im prozessorientierten Coaching bezeichnet positives Feedback die Verstärkung eines Signals als Reaktion auf eine Intervention. Negatives Feedback hingegen weist lediglich darauf hin, dass sich das Signal in seiner Intensität nicht spürbar weiterentwickelt. Wichtig ist, dass negatives Feedback nicht bedeutet, die Intervention sei „falsch“, ebenso wenig zeigt positives Feedback an, dass eine Intervention „richtig“ war. Vielmehr geben beide Feedback-Formen Hinweise darauf, wie sich der Prozess weiter entfalten kann.
Sie helfen dabei zu erkennen, welche Aspekte im Moment besonders im Vordergrund stehen und in welche Richtung sich ein tiefergehendes Erkunden lohnt. Durch eine wertfreie Betrachtung wird Feedback somit zum verlässlichen Wegweiser für die kontinuierliche Entfaltung und Bewusstwerdung persönlicher Prozesse – und damit zu einem entscheidenden Faktor für Veränderung und Wachstum im Coaching.
Dieses Vorgehen unterstützt nicht nur die individuelle Selbstreflexion von Coachees, sondern kann ebenso in Führungskräfte-Coachings und in der Personalentwicklung hilfreich sein. Indem Manager:innen und HR-Verantwortliche lernen, die non- und paraverbalen Signale ihrer Mitarbeitenden wertfrei zu beobachten und mit Neugier zu begegnen, eröffnen sich oft überraschende Erkenntnisse. Auch im Teamkontext lassen sich so unausgesprochene Spannungen, Potenziale und Ideen besser verstehen und gezielt weiterentwickeln.